Das Rätsel der kalten / warmen Hände in Hypnose
Das Rätsel der kalten / warmen Hände in Hypnose
Es muss nicht immer ein konkretes Forschungsprojekt vorhanden sein, um auf interessante Fragen zu stoßen...
Bei Routine-Aufzeichnung verschiedener Hypnose-Sitzungen mit Hilfe der Wärmebildkamera sind wir vor kurzem auf ein interessantes Thema gestoßen:
Jeder Hypnotiseur, der regelmäßig Klienten in seiner Praxis hypnotisiert, aber auch die meisten Yoga-Lehrer, Kursleiter für Autogenes Training, oder Entspannungspädagogen kennen das Auftreten von kalten Händen und Füßen während Entspannungssitzungen.
Viele Klienten neigen zum frieren, wenn sie sich entspannen, weshalb Therapeuten in der Regel wärmende Decken bereithalten, die im Zweifel schnell für Linderung sorgen.
Die Erklärung für die sinkende Körpertemperatur ist relativ einfach: Durch die Entspannung sinkt der Blutdruck und mit dem Absinken des Blutdrucks kühlen die Extremitäten ab bzw. wird der Körper ansich sensibler für die Außentemperatur. Diese liegt in der Regel unter der Körpertemperatur von durchschnittlich ca. 36,5 C liegt und wird deshalb beim Nachlassen der körpereigenen "Kälteisolierung" selbst an Sommertagen mit 30 C Außentemperatur als kühl empfunden (6,5 C können eine ganze Menge sein - vermindern Sie im Winter die Raumtemperatur einfach einmal von z.B. 23 C auf 16,6 C und Sie werden schnell spüren, wie deutlich dieses Gefälle wahrnehmbar sein kann).
Dass Menschen mit niedrigem Blutdruck zum Frieren neigen ist nichts neues. Dass die hypnotische Trance durch ihre Entspannungseigenschaften den Blutdruck absenken kann ebenfalls nicht...
Interessante Beobachtung, die Fragen aufwirft
Menschen, die frieren beschweren sich darüber. Ein Klient, der in Hypnose kalte Hände oder Füße bekommt, äußert sich dazu und bittet gegebenenfalls um eine Decke. Da dies öfter vorkommt, ist dieses Phänomen jedem Hypnotiseur bekannt und man ist darauf vorbereitet. Schließlich möchte der Therapeut, dass sich seine Klienten in Hypnose wohlfühlen.
Klienten, die nicht frieren beschweren sich auch nicht. Also unterscheidet man in der Regel nur zwischen Klienten, die in Hypnose frieren und Klienten, die in Hypnose eben nicht frieren.
In Hypnose-Kreisen wurde vielleicht ab und an darüber philosophiert, warum manche Klienten in Hypnose mehr frieren, manche weniger und ein großer Teil gar nicht. Aber die Erklärung für die Unterschiedlichen Reaktionen war in der Regel "Bei manchen Klienten sinkt der Blutdruck eben mehr ab und bei anderen weniger".
Bei Thermografieaufnahmen der Hände von Klienten in Hypnose mit einer Wärmebildkamera fiel uns aber ein interessanter Effekt ins Auge, der es wert ist, ihn einmal genauer zu untersuchen:
Bei manchen Klienten werden die Hände in Hypnose nicht nur nicht Kälter, sie werden sogar wärmer als im normalen Wachzustand!
Das heißt, es existiert ein gegenläufiger Effekt in Bezug auf die Temperatur der Extremitäten in Hypnose, der bislang nie wirklich thematisiert wurde.
Grund dafür ist vermutlich, dass er überhaupt nicht bemerkt wurde, denn ein Klient, dessen Hände und Füße in Hypnose ein wenig wärmer werden beschwert sich in der Regel nicht darüber - er realisiert es vermutlich nicht einmal bewusst, da dieser Effekt keine unangenehme Komponenten für ihn mit sich bringt (die Erwärmung ist in der Regel gering genug, dass er seine Hände z.B. nicht als unangenehm heiß empfindet, deshalb macht er sich vermutlich auch keine Gedanken, wenn sie einfach etwas wärmer sind).
Bei der Beobachtung einer ganzen Gruppe von Probanden im Verlauf eines Seminars fiel auf: Bei etwa 50 % wurden die Extremitäten - gemessen an Händen, Nase und Ohren - kälter, bei den ca. 50 % anderen wurden sie im Verlauf der selben Hypnoseanwendung aber wärmer.
Die Hypnoseanwendung war bei allen Probanden die selbe - der selbe Wortlaut, die selbe Induktion, die selben Suggestionen.
Die Raumtemperatur war bei allen Probanden ähnlich und es konnte nicht festgestellt werden, dass Probanden in tendenziell kühlerer Umgebung eher zur Abkühlung neigten. Die Verteilung wärmer / kühler war sowohl in etwas wärmerer als auch in etwas kühlerer Umgebung die selbe.
Die Messungen deuten darauf hin, dass die Außentemperatur der Hände im Verlauf der Hypnosesitzung in Bezug auf den Wachzustand davor nicht gleich bleibt, sondern entweder steigt oder sinkt.
Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Temperatur bei einigen der nicht abkühlenden Probanden relativ gleich bleibt, ist die Anzahl derer, bei der die Temperatur der Hände eher steigt doch überwiegend.
Die Frage lautet also:
Gibt es zwei Grundsätzlich unterschiedliche körperliche Reaktionen auf die hypnotische Trance in Bezug auf die Temperaturveränderung der Extremitäten und woraus resultieren diese?
Im Detail sind hierzu folgende Überlegungen interessant:
Welche körperlichen Messwerte sind bei den beiden Gruppen unterschiedlich?
Kann eine jeweilige Reaktion Hinweise auf die Trancefähigkeit der einzelnen Gruppe ansich geben?
Ist es sinnvoll, für die eine Gruppe eine andere hypnotische Vorgehensweise zu wählen als für die andere Gruppe?
Gibt es signifikante Unterschiede in den Gehirnaktivitäten der Probanden aus den beiden Gruppen?
Spielen Vorerkrankungen / körperliche Merkmale (z.B. Alter, Gewicht) oder das Geschlecht eine Rolle (aus Erfahrung kann gesagt werden, dass Frauen in Hypnose eher zur Abkühlung neigen als Männer)?
Lassen sich aus der Gruppenzugehörigkeit bestimmte Stärken- / Schwächenprofile erstellen (z.B. sind erste Hinweise aufgetreten, dass die Mitglieder der zum Abkühlen neigenden Gruppe tiefere körperliche Trancen erreichen und bspw. besser für Schmerzabschaltungsanwendungen geeignet sind)?
Steht die thermische Reaktion in Zusammenhang mit der individuellen Aktivität des Sympathikus / Parasympathikus?
Ist die Tendenz eines Probanden in die eine oder andere Richtung konstant oder ist sie abhängig von der Tagesform / der Induktion / der Körperlage?
Man sieht also, dass diese kleine Beobachtung unter Umständen eine große Tragweite für die Hypnose und ihren praktischen Einsatz im therapeutischen Alltag haben könnte.
Ließe sich aus diesen Beobachtung eine feste Regel ableiten, könnte dies sogar deutlich weitreichendere Folgen für die grundsätzliche Diagnostik verschiedenster Störungen haben.
Zusammenhang mit dem Raynaud Syndrom?
Das Raynaud Syndrom ist eine Gefäßerkrankung, an der in den USA nach Schätzungen des National Institute of Health ca. 5-10% der Menschen leiden (Schätzungen aus den USA sind häufig auf Mitteleuropa übertragbar).
Bei dem Raynaud Syndrom handelt es sich um eine Durchblutungsstörung, die genau die Bereiche des Körpers betrifft, die bei der Gruppe, die während der Hypnose zum Frieren / Abkühlen neigt an Temperatur verlieren.
Geht man nun davon aus, dass das Raynaud Syndrom eine krankhafte Übersteigerung einer natürlichen Veranlagung sein könnte, dann ist es theroretisch möglich, dass die Hypnose diese (bei Probanden / Klienten in den meisten Fällen harmlose und nicht als Krankhaft klassifizierbare Veranlagung) sichtbar machen könnte.
Da das Raynaud Syndrom in einigen (eher seltenen) Fällen mit einer Sympathektomie (gezieltes Durchtrennen des Sympathikus-Nervs an bestimmten Stellen) behandelt wird, lässt sich vermuten, dass die thermischen Reaktionen in Hypnose auf einer bestimmten (für die jeweilige Probanden-Gruppe charakteristischen) Funktionsweise des Sympathikus-Nervs beruht. Interessanter Weise wird die Sympathektomie auch bei Hyperhydrose-Patienten angewandt, was vermuten lässt, dass sowohl Abkühlung als auch Erwärmung im direkten Zusammenhang mit dem Sympathikus-Nerv stehen.
Bitte beachten Sie: Dieser Vergleich soll nicht aussagen, dass bei einem Probanden / Klienten, der in Hypnose zur Abkühlung der Hände, Nase, Füße oder anderer typischer Körperregionen neigt automatisch der Verdacht auf ein Raynaud Syndrom vorliegt - die Parallelen zum Raynaud Syndrom dienen lediglich zur Entwicklung einer Theorie dafür, wie sich die Hypnose bei den beiden Klienten-Gruppen auswirkt und mit Hilfe welcher Mechanismen die Wärme- oder Kälteeffekte zustande kommen könnten.
Forschen Sie mit - senden Sie uns Ihre Theorien!
Haben Sie einen Erklärungsansatz für die hier beschriebenen Phänomene?
Können Sie erläutern, weshalb bei einem Teil der Probanden die Hände wärmer und beim anderen Teil kälter werden?
Wissen Sie, welche neurologischen Prozesse bei der jeweiligen Gruppe ablaufen und wie die Hypnose diese stimuliert?
Haben Sie signifikante Beobachtungen bei Klienten / Probanden, die in Hypnose entweder zu Erwärmung oder Abkühlung neigen gemacht?
An dieser Stelle sind medizinische Spezialisten oder recherchefreudige Hypnose-Fans gefordert!
Die TherMedius - Forschungsabteilung freut sich über Ihre Hinweise und Erläuterungen zu diesem Thema.
Wir werden Sie gern an dieser Stelle veröffentlichen und Sie dabei selbstverständlich namentlich erwähnen.
Bitte senden Sie uns Ihre Erkenntnisse oder Theorien an info@thermedius.de.
Wir sind gespannt ob sich dieses Rätsel lösen lässt und welche Erkenntnisse sich daraus gewinnen lassen.